1979 begann es in der Jungen Gemeinde: "Wer hat denn Lust, mit Musik
zu machen ?" wurde herumgefragt. Die paar Leute, die in den Pfarrsaal
gekommen waren, verloren bald die Lust, da man sich nicht auf gemeinsame
Stücke einigen konnte. Zum Schluss blieben ein Klavier, eine Gitarre
und jemand, der auf seinen Kumpel wartete.
Die beiden (Mario Nedjalkow und Matthias Schlönvogt) probierten eher freie
Klangbilder aus, die dann immer rhytmischer wurden. Schnell wurden Stühle
aufgestellt, auf denen hervorragend getrommelt werden konnte. (Damals ging es
noch ohne Cachoon !) Und auf einmal passte alles zusammen, der Rhytmus riss die
Leute mit und Reißl, der zum ersten Mal im Leben eine Blockflöte in
der Hand hatte, brillierte mit Solis. Das war kraftvolle Musik wie im Rausch,
interessanterweise durch einen Kassettenrekordermitschnitt dokumentiert.
Das musste natürlich weitergehen. Und so trafen sich die drei öfter
im Schlönvogtschen Schlafzimmer zur Probe - denn dort stand ein Klavier.
Und genauso schnell gab es den ersten Auftritt zur Fete eines Freundes, der in
Ermanglung eines richtigen Mikroständers das Gesangsmikrofon selbst halten
musste.
Trotzdem wurde der vielumjubelte Auftritt ein voller Erfolg, denn der erstmals
zum Besten gegebene "Blues von der Unzufriedenheit" animierte das Publikum
zum Mitsingen (Text: "...ist doch auch nicht so das Gelbe." Publikum: "vom
Ei, vom Ei.") Auch das Instrumental "Down to Earth" bekam einen
Text und wurde der Klassiker schlechthin - "Nachts halb 10 auf der Autobahn".
Irgendwann gab es einen guten Moment: Zwei Freunde von mir standen an der
Tür
und überreichten mir eine E-Gitarre als Geschenk. Das später sog. "E-Holz" war
von Ihnen für 5 Mark von zwei wilden Gesellen abgekauft worden, die diese
E-Gitarre nach einem Hochwasser am Elbeufer gefunden hatten !
Leider funktionierte das gute Stück nicht. Ein Bekannter, der in der Lehre
als Radiotechniker lernte, öffnete dann die Gitarre, lötete hin und
her und meinte dann: "So wie die geschaltet ist, kann die eigentlich nicht
funktionieren. Sie tut`s aber doch..."
Das war sozusagen der Schritt zur Band, denn bis dahin hatte es die Nylon-Saiten-Gitarre
(!) sehr schwer, gegen das Klavier bzw. die Trommelkisten anzukommen. so hab
ich dann mit dem DDR-Standard-Mischpult "Disco 2000" am Sternrekorder
agiert. Das klang schon gut laut, mit zwei Microfonverstärkereingängen
von zwei Mischpulten hintereinander gab es sogar perfekte Distorsion, aber Delay
blieb für immer ein Traum...
Inzwischen wurde Deutsch-Rock Mode. Und DAS konnten wir ja grade ! Um nun
aber den ehrenwerten Bandnamen nicht zu beschädigen, hieß das neue Projekt
einfach anders, nämlich Total Real, später nur noch T.R. . Das machte
ziemlich Spaß und die neuen Lieder purzelten nur so. Da T.R. quasi auf
der Modewelle mitschwamm, lösten die Auftritte immer Begeisterung aus. Wobei
Auftritte eigentlich eher sehr spontan realisiert wurden, nämlichg dann,
wenn irgendwoher grade Verstärkertechnik aufgebaut worden war und wir mal
zusammen drauf geübt hatten. bei einem dieser Auftritte hatte Reißl
seinen großen Moment: Während wir uns noch auf das nächste Lied
einigten, trommelte Reißl einen Wirbel und hielt die Schlagstöcke
in die Höhe. Einige Auskenner brüllten "Heeej", wie das auf
großen Konzerten so üblich war. Beim nächsten Trommelwirbel,
hatten dann dauch die anderen begriffen, was zu tun war und machten mit. Reißl
brachte den Raum zum Kochen und wir konnten zum Höhepunkt mit unserem Lied
wieder einsteigen.
Auch so konnten wir uns als WIlsdruffer Band einer gewissen Symphatie erfreuen.
Beispielsweise baute die katholische Pfarrjugend eine Probestellung mit einer
großen sog. "Schweine-Box" auf, ein kleiner Lautsprecherturm
aus den 50ern mit Hammerschlaglackierung. Das war klasse für den Gitarristen,
leider gab es für den Keyboarder nur eine Hammond-Orgel, quasi das uncoolste überhaupt...
Nun wäre ja ein richtiger Auftritt mal dran gewesen.Aber zu DDR-Zeiten brauchte
man eine Spielerlaubnis mit vorrangegangener Einstufungsprüfung, um öffentlich
auftreten zu dürfen.
Diese Prüfung setzte den Besuch der Musikschule und ein vielfältiges
Repertoire voraus, es musste tatsächlich der Nachweis über verschiedene
Stilrichtungen gegeben werden. Und do ganz nebenbei ging es ja auch um die Texte
der eigenen Lieder...
Für uns quasi eine unüberwindbare Hürde - mir fällt
noch ein, dass ich damals in der Runde gesagt hatte, "dass wir doch einfach
mal die
Prüfung machen. Dann werden wir zwar der Texte wegen abgelehnt, sind
aber nach der Revolution die Helden".
Tja, das war 1984, da war an Revolution nicht zu denken. Deshalb wurde
der Vorschlag mit einem Lächeln abgetan. Schade eigentlich...
Dafür konzentrierten wir uns auf einen anderen Weg. Da die Bandproben
ja im JugendCenter, (dem ehemaligen Heizungskeller der Nicolaikirche),
stattfanden,
sollte es eine Veranstaltung im Rahmen der Kirche werden. Und als Veranstaltungsort
schwebte uns die Wagenhalle der katholischen Kirchgemeinde vor. Und -
oh Wunder - der katholische Pfarrer Weinert war gar nicht abgeneigt, sondern
versprach,
sich beim Pfarrgemeinderat für die Veranstaltung ("Nennt das >>Jugendtreff<<,
das klingt pfiffiger !") einzusetzen.
Als günstiger Termin wurde der 20. Juni festgelegt. Da damals das
Thema Punks im Westen aktuell war, stand der kirchliche Teil zu Beginn
unter dem Titel "No
future yes", wobei das "no" dann durchgestrichen wurde
und ein "future
yes" entstand. Und andere Bands wurden eingeladen. Aus Meißen
wollte Ellen S. und KonTiki spielen und als Haupt-Act sollten die "Wilden
Gesellen" aus
Dorf Wehlen auftreten. Ellen S. kam dann doch nicht und KonTiki hatte
bisschen Bauchschmerzen, ob die Veranstaltung so ganz genehmigt ist,
kamen aber dann doch.
Schon beim Aufbau der Technik staunten die Wilsdruffer, die unsere Spaßband
kannten. Und abends wurde es dann richtig voll !
Durch unsere Kontakte zur Leipziger Szene waren jede Menge Langhaarige
in Parkas gekommen. Und wie es zu DDR-Zeiten so war - Untergrundgeschichten
sprachen
sich herum. Und so waren alle möglichen Dresdner Szene-Leute auch dabei.
Der kirchliche Teil am Anfang, war mit paar Ideen gespickt, so dass das
Publikum gar nicht uninteressiert zuhörte. Und dann gab es den Anfang der ersten
Wilsdruffer Rocknacht - nämlich das Sandmann-Lied des Kinderfernsehens mit
krachigem Intro von T.R. !
Da die Lieder deutschsprachig und dem Publikum unbekannt
waren, vergaßen die Zuhörer auf musikalische Qualitäten zu achten
und hörten aufmerksam zu. T. R. gelang so ein überzeugender Einstieg
und galt seitdem als "richtige Band". Naja, eigentlich eher eine richtige
Vorband - aber...
KonTiki hatten im Vorfeld viel geübt und spielten zur Freude des Publikums
jede Menge Rockklassiker. Als Hauptact kamen dann die Wilden Gesellen aus Dorf
Wehlen. Die drei Akteure verunsicherten das Publikum mit einem Auftritt, der
zwischen Genie und Wahnsinn spielte. Das blieb eindrücklich bis heute...
Interessant war die Reaktion der Stasi. Die versuchte aufgeregt, mehr Informationen
zu erhalten und scheiterte aber teilweise dabei - die Band Ellen S. aus Meißen
stand zwar auf dem Plakat, trat aber nie auf...
Tage später wurde der Wilsdruffer Pfarrer zum Rat des Kreises, Abteilung
Inneres, bestellt. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass sich die Kirche gern um
alte und kranke Menschen kümmern kann, "aber die Jugendarbeit gehört
der FDJ !". In solchen Punkten wurde der eher zurückhaltende Pfarrer
Pöche regelrecht kämpferisch und sicherte uns seine volle Unterstützung
zu.
Neben der Rockband Total Real gab es in dieser Zeit noch das Juni Blues Projekt,
bei dem mehr Wert auf die Texte gelegt wurde. Außerdem wurde Musik
mit Natur-Gitarren gespielt. Eine Reihe von Liedern aus dieser Zeit fanden
dann auch Eingang ins T.R.-Programm.
Das Juni Blues Projekt hatte weit weniger Auftritte - wichtig war ein Auftritt
in der Kapelle Sachsdorf und beim Liedermacherfestival in Dippoldiswalde.
Das Liedermacherfestival lockte 1985 eine Reihe von sehr guten Leute mit
kritischen Texten an, so dass die Dippoldiswalder Kirchenleute Angst vor
der eigenen Courage bekamen und mit Verweis auf die gegenüberliegende
Stasi-Stelle für das nächste Jahr ein Vor-Einreichen der Liedtexte
forderten. Damit war das Ende des Liedermacherfestivals besiegelt - die Kirche
hatte das erreicht, was die Stasi eigentlich vorhatte...
Nach dem Erfolg der ersten Rocknacht wurde natürlich die zweite vorbereitet.
In dem Zusammenhang wurden sogar Rocknacht-Video-Clips gedreht - eigentlich
Super8-Filme, aber im Westen gab es eben schon Videos. Heutzutage machen
wir Videos und sprechen von Filmen...
Durch die starken Kontakte zur Leipziger Szene wurde die zweite Rocknacht
größer, besser und professioneller. Nach der Rocknacht gab es
ein Zeltlager auf einem größeren Privatgrundstück, bei dem
am Feuer zur Gitarre weitergesungen wurde. Jahrzehnte später wurde bekannt,
dass der Besitzer IM bei der Stasi war. Wirklich interessant ist jedoch,
dass er keinerlei Informationen in diesem Zusammenhang zur operativen Vorgang "Gemeinde" beigetragen
hatte. Man hüte sich jederzeit vor Schwarz-Weiß-Denken...
Für die zweite Rocknacht gab es von mehreren Untergrundbands Interesse
an einem Auftritt - wir konnten also aussuchen. Als Haupband gab es dann
Big Savod and the deep Manko, eine Band, die es in der späten DDR und
Nachwendezeiten zu einiger Berühmtheit brachte. Die Qualität der
Jungs war damals schon so hoch, dass beim Soundcheck die Leute vor der Halle
glaubten, eine Kassette würde laufen !
Nach der Rocknacht wurden weitere Auftritte organisiert - in Krögis,
Lampertswalde (ein Rocknacht mit vielen Leipziger Bands) und in Dohna. In
Dohna gab es das legendäre Computerkonzert - Reißels hatten altes
Spielzeug ausgeräumt und so stand ein grauer Kasten im Stapel, den ich
mir nicht erklären konnte. Das ist ein "Computer" meinte Reißl, "der
kann richtig rechnen". Das sog. Rechnen war simpelste Physik, mit Kabel
an Kontakten wurden Ströme geleitet, die Glühlämpchen zum
Leuchten brachten. Das Ding nahm ich mir mit, obwohl nur noch 5 der 12 Lämpchen
vorhanden waren. In Dohna stellte ich das Teil auf einen Tisch und ließ eine
Menge unbenutzter Kabel heraushängen. Eine alte Flachbatterie hatte
ich auch noch. So leuchteten 3 Lämpchen beim Konzert. Nach einem Lied
vor Konzertende ging ich dann zum Computer und steckte zwei Kabel um, so
dass nun alle 5 Lampen leuchteten. Vom Publikum unbemerkt schaltete ich noch
heimlich an der E-Gitarre um, so dass es tatsächlich anders klang. Das
Publikum glaubte nun tatsächlich an ein Wunderwerk an Effektgerät.
Und als ich Reißl nach Konzertende fragte, wie das denn angekommen
wäre, meinte er begeistert: "Viel besser als gedacht, Weil die
Batterie immer müder wurde, begannen die Lämpchen sogar zu flackern.
Das sah dann richtig professionell aus..." !
Vor dem Lampertswalde-Konzert meinten übrigens zwei Mädchen "...
und T. R. soll nur HardRock spielen.". Der größte Erfolg
war aber dann das Anti-Lied "Schnabbeldiwau".
Beinahe hätte T. R. damals Karriere gemacht. Es gab schon Vorabsprachen,
um beim Dresdner Kunstsalon der TU aufzutreten. Leider wurde der Organisator
- ein Dresdner Student - verhaftet, da zuviele "andere" (also bereits verbotene) Bands bei
seinen Veranstaltungen aufgetreten sind. So wurde es nichts mit Untergrundkarriere.
Und warum gab es keine dritte Rocknacht ? Vordergründig wegen dem damaligen
katholischen Pfarrgemeinderat und seinen Bedenken. Ehrenrettung für
Pfarrer Weinert, an ihm hat es nicht gelegen. Zum Termin der dritten Rocknacht
trafen wir uns einfach so bei Reißl und sangen begeistert eine Lindenberg-Kassette
mit. Das wurde den Mädels dann langweilig, so dass die gingen. War trotzdem
gut und das "Heizer"-Album seitdem Kult.
Bisschen später gab es noch mal eine Aktion - diesmal mit Hanno, der sich für Musik begeisterte und sogar Texte machte. "Matze" Sch. war schon aufgrund seines West-Synthesizers prädestiniert und ich agierte weiter mit dem e-Holz. Die drei-Mann-Band brachte es zu einem Auftritt, der streckenweise sogar mit einer Videokamera dokumentiert wurde - leider einfach die falschen Lieder. Der große Hit war "Einfach mal den Westen testen". Als wäre der Mauerfall schon vorausgeahnt worden. Der T. R. - Klassiker "Hülsenfrüchte" war übrigens auch mit dabei.
Wenn man das Diskographie nennen kann:
"Golden RBC" - MC mit allen alten Hits (Nachts um halb 10, Blues von der Unzufriedenheit, Spatenlied usw.), 1984
"Unter TRänen lachen" - MC mit den neueren Hits (Uwe muss zur Asche, Der schwarze Mann auf der Zielscheibe, Wenn ich bei dir bei, Komm lass uns einen Bunker ins Schlafzimmer bauen, Denn du bist ein hübsches Mädchen, Ein Junge weint doch nicht usw.) 1986
"T. R. live" - Tonbandaufnahme mit legendärer Schweinebox 1985
Deutsche Demokratische Musik - "Livekonzert" 1988 in Ausschnitten als Video (Intro, Der Nerv, Hülsenfrüchte, Einfach mal den Westen testen usw.)
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